Ins Leben zurück gekämpft
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Viel zu früh gegangen…
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Tierschutz – und warum man seinen Glauben an die Menschen verliert

Vor acht Jahren war ich als Touristin in der Türkei und fand ein kleines krankes Kätzchen, dem ich ein Zuhause geben wollte. Nach einigen Recherchen im Internet fand ich heraus, dass ich einen Pensionsplatz für die Katze finden muss, um sie 4 Monate später nach Deutschland holen zu können.
Kaum zu glauben, aber vor 8 Jahren war es noch nicht so einfach mithilfe des Internets Hilfe vor Ort zu finden und erst viele Anrufe, Mails und Tränen später, bekam ich die Nummer von Anja Günther, die mittlerweile eine richtige Tierauffangstation (Kitmir e.V.) besitzt, aber damals noch als private Tierschützerin agierte.
Als ich bei ihr anrief und ihr die Situation schilderte (,,Hallo. Ich habe da eine ganz süße kleine Katze gefunden, die ich retten will und ich brauche ihre Hilfe.”), klang ihre Antwort anders als erwartet. Ich dachte die Frau am anderen Ende der Leitung springt durchs Telefon und küsst mir die Füße, weil ich so großartig bin und ein armes, armes Straßentier retten will, aber… sie reagierte anders.
Sie war weder sonderlich freundlich, noch begeistert über mein großartiges Engagement. Sie nannte mir lediglich die Kosten, die auf mich zukommen würden, nannte mir eine ungefähre Adresse und meinte ich solle das Tier bei ihr vorbei bringen, wenn ich es ernst meinen würde. (,,Hallloooooooo??? Natürlich mein ich es ernst.”)
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt… schließlich war ich doch die Retterin dieser kleinen, armen und kranken Hotelkatze und hätte ein wenig Jubel erwartet (oder zumindest einen Abholdienst).
Aber gut… der Erstkontakt war nun nicht so dolle, aber ich wollte das kleine Geschöpf ja nun mal retten, also organisierte ich mir ein Taxi und fuhr mit diesem Taxi gefühlte 2 Stunden durch den Ort Demirtas (eine Adresse gab es ja nun mal nicht) und nach gefühlt 70 befragten Dorfbewohnern konnte uns dann endlich Jemand sagen, wo Anja wohnt und wir fuhren dort hin.
Während der Taxifahrer sich nach dieser Tortur auf der Treppe vor dem Haus niederließ und Kette rauchte, brachte ich meine kleine Katze in die Wohnung, wo sie direkt liebevoll von Anja und ihrer Mama empfangen und versorgt wurde.
Anja und ich tauschten E-Mail Adressen aus und ich versprach ihr jeden Monat Geld zu überweisen, damit die Katze medizinisch versorgt und behandelt, gefüttert und ausreisefertig gemacht werden konnte. Ich hielt mein Versprechen, zahlte pünktlich das Geld und kam 4 Monate später wieder angeflogen, um meine ,,mittlerweile nicht mehr kleine” Aishe abzuholen.
Ich verbrachte eine Woche in Alanya und viele Stunden bei Anja und schwor mir, dass ich diese Frau zukünftig unterstützen werde. Ich hatte gesehen was sie vor Ort leistet und gab mir selber den Schwur, dass ich ihr bei ihrem großartiges Lebenswerk helfen möchte…

Mittlerweile sind wir knapp 8 Jahre befreundet und ,,die kleine Aishe” hat zwei tolle türkische Freunde bekommen, die allesamt mein Leben bereichern.

Aber darum geht es gar nicht…
Es geht um die Erfahrungen der letzten 8 Jahre, die erklären sollen, warum Tierschützer so oft beschuldigt werden, Menschenhasser zu sein – oder Sonderlinge oder unfreundlich oder einfach den Tieren mehr zugewandt als den Menschen.
(und warum ich heute verstehe, warum Anja damals so unfreundlich am Telefon war…)

Mittlerweile war ich rund 20 mal in der Türkei und habe bei und mit Anja gelebt und ihren Alltag gesehen…
mittlerweile hat Anja einen Verein, der eine E-Mail Adresse und eine Facebook Seite besitzt und Nachrichten empfangen kann…
Ich bin also eine von den Personen, die Anjas Alltag (und ihre Anrufe) live erlebt und ich bin eine Person, bei der die Nachrichten ankommen, wenn ein Tourist mal wieder Hilfe braucht, weil er ein Tier retten will.
Ich erlebe also nur einen kleinen Ausschnitt aus Anjas Leben, aber der reicht mir schon, um einen Brechreiz zu entwickeln, wenn da mal wieder ne Nachricht kommt, wo ein Touri unbedingt ein Tier retten will.

Jedesmal investiere ich endlos Zeit und Nerven und scheuche Anja und Efkan (per whatsapp aus Deutschland) umher, damit sie dabei helfen diesem Hilferuf nachzukommen.
Jedes verdammte Mal denke ich, dass das Tier eine ,,kleine Aishe” ist, die Hilfe braucht und die eine tolle Zukunft erwartet…

Versteht mich nicht falsch…
Ich helfe gerne und investiere gerne meine Zeit und habe auch (fast) kein schlechtes Gewissen Anja und Efkan hunderte Kilometer durchs Land zu jagen und ich habe jedesmal die stille Hoffnung für ein bis dato unbekanntes Tier die Welt ein Stück mit verändern zu können.
Es gibt wirklich tolle Menschen, die ich in den letzten 8 Jahren kennenlernen durfte und die tatsächlich ihr Wort gehalten haben und sich auch im Nachhinein wirklich und echt um das gerettete oder abgegebe Tier gekümmert und ihm ein Zuhause gegeben haben (Maascha, Hermine, Kiwi, Hope, Eddy…), aber das ist nur ein kleiner, klitzekleiner Bruchteil und mittlerweile verdrehe ich selber die Augen wenn heulende Touris vor dem Tor stehen und ein Hunde- oder Katzenbaby im Arm haben und hoch und heilig versprechen für dieses Tier auch nach ihrer Abreise zu sorgen und es zu adoptieren.

Harte, aber offene Worte: KUHSCHEIßE!!!
98% Prozent der Menchen kümmern sich einen Scheißdreck um das Tier, sobald sie es Anja in die Arme gedrückt haben.
Aus den Augen aus dem Sinn…(und zu Hause dann sicher großspurig berichten, dass sie ein Tier gerettet haben)

Ich denke da z.B. an die Engländerin (angeblich selber aktive Tierschützerin in Rumänien), die uns um Hilfe für ein kleines Kätzchen (Rossa) bat. Sie versprach, wenn Anja sie nur aufnehmen würde, dass sie Rossa zu sich holen würde und natürlich auch für alle Kosten aufkäme. Als Anja in das Hotel fuhr, drückte ihr die Engländerin Rossa und 5!!! weitere Katzen in den Arm und… meldete sich niemals wieder. Sie hatte nicht mal den Anstand zu fragen, ob das kleine kranke Kätzchen überlebt hatte. Für den Anja, bzw. den Verein waren das damals Kosten von rund 2000 Euro bis die Katzen ausreisefertig waren.

Dann war da noch Trixi, die Katze, die auf dem Flughafen Klo ausgesetzt und nur durch Zufall gefunden wurde. Touristen hatten wohl am Flughafen bemerkt, dass man ja nicht so einfach mal eben ne Katze ausführen darf und haben sie auf der Flughafentoilette ausgesetzt.

Dann gibt es da diese Geschichte, mit der Türkin, die bei Anja anrief und darum bat ihre Hunde aufzunehmen, da sie umziehen würde und die Hunde nicht mit könnten. Die Hunde waren knapp 10 Jahre alt und hatten ihr Leben lang bei der Türkin gelebt. Auch auf mehrfache Nachfrage konnte die Dame aber leider nicht die Info geben, ob ihre Hunde kastriert sind – daran könne sie sich nicht mehr erinnern.
(Ich bin fast geplatzt, als Anja zum achten Mal fragte, ob ihre Hunde denn kastriert seien und die Dame keine Antwort geben konnte)

Die kleine Leonie wurde von Touristen an einem Gözleme Laden in der Nachbarschaft von Anjas Haus ausgesetzt als sie ca. 4-5 Wochen alt war. Die Touris hatten sie bei einem Ausflug in den Bergen gefunden und das ,,arme kleine Baby” im Karton mitgenommen – bis ihnen einfiel, dass Hunde im Hotel nicht erlaubt und sowieso unpraktisch sind. Leonie saß knapp 2 Tage ohne Nahrung vor dem Gözleme Laden bis die Besitzer des Gözleme Ladens Anja informierten.

Ich hätte noch viel mehr von solchen Geschichten auf Lager… ich könnte Bücher damit füllen (obwohl ich nur selten vor Ort bin).

Dann ist da zum Beispiel auch noch diese eine ,,Geschichte” … und ich hege die kleine und leise Hoffnung, dass ,,diese Menschen” hier mitlesen, die diese Geschichte zu verantworten haben. (Ich will nur sagen; Karma!!! Karma Leute – es wird euch einholen)

Es war einmal… eine wohlhabende Rechtsanwalts Familie, die ihren Urlaub an der türkischen Riviera verbrachte und eine kleine, süße, knuffelige Katze fand.
Sie beschlossen der kleinen Katze ein Zuhause zu geben und planten sie im Flugzeug zu schmuggeln, was natürlich fehlschlug und unterbunden wurde. Damit sie ihren Flieger nicht verpassen, schmissen sie die Katze vor dem Flughafengebäude wieder raus und traten ihre Heimreise an.
Sage und schreibe 2 Monate später, plagte sie dann aber doch das schlechte Gewissen und sie schrieben Anja an mit der Bitte um Hilfe. Anja solle doch jetzt bitte zum Flughafen Antalya fahren (einfache Strecke 180 Kilometer) und ,,ihre” Katze retten.
Sie schickten ein Foto der Katze mit und versprachen nun alles besser zu machen und die Katze zu adoptieren…
Normalerweise hätte man diesen Menschen ins Gesicht spucken müssen und sie blockieren müssen, aber Anja dachte an die arme, verstörte Katze und setzte sich ins Auto, um stundenlang den Flughafen abzusuchen und die Katze letztlich auch zu finden.
Sie hat es nicht für die Menschen getan – sie tat es für die Katze, der eine glückliche Zukunft in Deutschland versprochen wurde.
Als Anja dann nach Hause kam und der Familie ein Foto der Katze schickte, bekam sie folgende Antwort: ,,Das ist sie nicht, die wollen wir nicht!”
Damit hatte sich das Thema für die ,,tierliebe” Familie erledigt…

… und ich verstand wieder ein bisschen mehr, warum Anja damals am Telefon war, wie sie war.

In der letzten Woche habe ich Stunden damit verbracht mit einer Touristin über whatsapp eine Lösung für eine Hotelkatze zu finden. Die Lösung wäre eigentlich ganz einfach gewesen…
Sie sollte sich nur ins Taxi setzen und die Katze zu unserem Tierarzt bringen.
Die Katze ist letztlich verstorben… und ich bin traurig und wütend.
Die Katze war krank und es war unklar, ob sie in der Obhut von Anja überlebt hätte, trotzallem wurde die Lösung für die Touristin quasi auf einem Silbertablett serviert und sie hat die Chance nicht genutzt.

Es ist einfach alles so furchtbar deprimierend, wenn man den Menschen die Rettung so einfach macht und man dann zu hören bekommt, dass das shoppen wichtiger ist als sich ins Taxi zu setzen oder man nicht bereit ist 300 Euro zu investieren, damit Anja die Ausreisepapiere und die Kastration bezahlen kann.

Mittlerweile verstehe ich, warum Tierschützer als Misanthropen bezeichnet werden – denn ich bin auf dem besten Wege auch Einer zu werden.
Wären da nicht diese vielen tollen Menschen um mich herum, die mir den Glauben in die Menschen zurück geben… ich wäre wahrscheinlich schon zum Meuchelmörder geworden.

Trotz allem möchte ich noch schreiben, warum ich mir das heute einfach alles von der Seele schreiben musste… (Wer es bis hier hin geschafft hat, schafft auch noch das Ende)
Als ich vor 4 Wochen bei Anja war, hat sie mir etwas erzählt, das mir neu war und das mich bis heute beschäftigt…

Anja war bis 2010 die Leitung des städtischen Tierheims in Demirtas.
Eines Tages kam eine Frau zu ihr und wollte ihren klitzkleinen Hund abgeben, weil er nicht mehr in ihr Leben passte. Es war ein winziger Rüde, von nur wenigen Kilo, der jahrelang als Schoßhund diente und sogar einen kleinen gestrickten Ringelpullover trug.
Anja bat die Frau eingehend sich die Abgabe zu überlegen, weil so ein klitzekleiner ehemaliger Besitzerhund große Probleme in einem städtischen Tierheim hätte und untergehen würde.
Anja bat die Frau die Abgabe zu überdenken und erzählte ihr wie sehr ihr Hund leiden müssen, wenn sie ihn dort ließe.
Nach dem Gespräch sagte die Frau zu, dass sie es sich nochmal überlegen würde und fuhr davon…

Als Anja am Abend dann Feierabend hatte (in einem städtischen Tierheim wohnt man nicht) und über die Hauptstraße nach Hause fuhr, sah sie einen Tierkadaver;
über 4 Fahrspuren verteilt – in einem zerfetzten Ringelpullover.

Und genau darum verliert man als Tierschützer seinen Glauben an die Menschen!!!

Tina Gernardt (Januar 2018)
… und im April schon wieder so aktuell, dass ich im Kreis kotzen möchte!!!