Pflegestelle sein, oder: Liebe ist nicht professionell

Und schon wieder eine Familie, die ihr Zuhause verloren hat.
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Und es ist immer wieder Einer da der dringend Hilfe braucht…
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Pflegestelle, seit ein paar Jahren bin ich es. Von Zeit zu Zeit gebe ich einem Gasthund ein Zuhause, der einfach dort wo er ist, keine Chance auf eine gutes und sinnvolles Leben hat. Hunde, die einen Platz suchen, gibt es wie Sand am Meer, und doch, unter Hunderten sind es nur Einzelne, die mich fesseln, von denen ich nicht abkomme und denke, dem Hund möchtest du helfen… Ich verfolge kein Beuteschema, ich sehe in die Augen eines Tieres und weiß: der ist es, der soll kommen. Und dann kommt der Verstand dazu… Passt er ins Rudel? Zu viel Temperament? Zu wenig Temperament? Zu groß und schwer? Zu klein? Katzen? Wird er sie fressen? Zu alt zum Vermitteln? Zu jung, er könnte die Einrichtung demolieren? Was, wenn er chronisch krank oder bissig ist? Ist es überhaupt zu schaffen mit einem Rudel aus drei eigenen Hunden und vier Katzen nebst Haushalt und Job? Und was, wenn ihn niemand will? Noch einen Hund für viele Jahre? Die Verantwortung, Arbeit und die Kosten? Und was, wenn das eigene Herz schreit: ich will ihn behalten, ich liebe ihn, obwohl das Haus schon voll genug ist? Als Pflegestelle braucht man einen gesunden Abstand, damit man die Hunde auch wieder gehen lassen kann. Liebe ist weder vorgesehen, noch professionell….

Es ist also nicht so leicht, Pflegestelle zu sein, man läuft immer Gefahr, dass etwas Unvorhergesehenes passiert, dass es zu schwierig wird, dass die eigenen Tiere leiden, dass der Hund bleibt und man an die eigenen, auch finanziellen, Grenzen stößt. Und trotzdem, da sind diese Augen, die mich anschauen… 

Und so war es auch bei Amila von Kitmir e.V.  Ich sah sie und dachte: oh wie knuffig, die ist ja bestimmt bald vermittelt… Es vergingen Wochen und nichts tat sich. Aber sie wirkte fröhlich auf dem Bild, also machte ich mir keine Sorgen. Zudem wohnte noch eine rumänische Pflegehündin bei mir. Fünf Hunde – kein Gedanke wert. Und trotzdem ließ ich in einer Nachricht an Renate (Pflegestelle für Kitmir) die Bemerkung fallen: die Amila ist ja knuffig, die würde ja glatt hier reinpassen – so was Kleines, noch nicht ganz so alt und geht bestimmt nicht jagen, kaum Mehraufwand… ;-)))  Es kam sofort eine Antwort: ich habe sie mal für dich reserviert…. 8-/   Eine halbe Stunde später hatte ich Renate an der Strippe – so viele Hunde sind bei Anja, Amila schläft immer nur irgendwo unterm Stuhl, niemand hat wirklich Zeit für die kleine Maus, sie geht da unter und braucht endlich jemanden, der sich um sie kümmert, und bestimmt ist sie doch ganz schnell vermittelt, so kleine Hunde sind doch gefragt. Sie müsste nur nachts mit im Bett schlafen dürfen, das findet sie auch bei Anja ganz toll… 

Ich ließ mich bequatschen und einige Zeit später zog Amila bei uns ein – nahezu zahnlos, permanent auf ihrer Zunge kauend, die ihr aus der Schnute hing, ein bischen strubbelig und verfilzt, die anderen Hunde und alle Katzen frontal angiftend und verfolgend… Oooooh, wir mussten uns erstmal an sie gewöhnen. Also von klein und süß nahm ich erstmal Abstand… Einzelplatz, dachte ich, sie braucht einen Einzelplatz, soviel stand für mich fest. Ist zu schaffen, dachte ich, sie ist ja klein und süß und läuft auch recht anständig an der Leine. 😎  Und an dem Gezicke arbeite ich halt noch ein wenig… 

Nach ein paar Tagen machte ich mich an die dringend notwendige Fellpflege – ich schnitt mal ein bisschen alles in Form, kämmte die Filzpartien hinter den Ohren gründlich aus und befreite die Pfoten von einigen Filzplatten (was Amila heftig protestierend über sich ergehen ließ, während mein Mann sie festhalten musste). Komplett scheren ging leider nicht, da es draußen viel zu kalt war. Zudem mussten die nässenden Augen und recht verschmutzten Ohren unbedingt gereinigt werden. Auch die langen schmutzigen Strähnen, die sie mit der Zunge immer bis tief in die Schnute zog – alles wurde gründlich entfernt. Ja, es war wirklich Zeit, dass Amila mehr Fürsorge erhielt, ein Hund mit einem derartigen Fellwuchs braucht einfach viel Pflege, das wurde mir langsam klar. Nicht zu leisten mit so vielen Hunden und Katzen, wie Anja sie zu versorgen hat. Renate hatte absolut Recht. Es war richtig, dass wir sie zu uns geholt hatten. Mit diesen Gedanken machte ich mich schlussendlich noch an die letzten Filzzotteln am Unterbauch zwischen den Hinterbeinen. Dazu musste mein Mann sie mal bäuchlings zu mir halten, was sie ziemlich doof fand und auch bekundete… Ich schnippelte und erschrak: zwei murmelgroße Gesäugetumore hatte ich freigeschnitten. Sie waren vorher gar nicht aufgefallen. 

Wir machten umgehend einen OP-Termin und waren guten Mutes, dass die Tumore harmlos waren, dabei sollten auch gleich die verstopften Tränenkanäle geputzt und die sehr langen Krallen geschnitten werden. Drei Tage vor dem Termin begann der Husten…. Bestenfalls ist es nur ein vergrößertes Herz, dachte ich. Wenn man schon ein paar alte Hunde unter die Erde gebracht hat, weiß man, dass Husten ein Warnzeichen ist… Ich wusste es schon, aber hoffte, dass ich falsch liege. Sie war inzwischen so gut angekommen bei uns, sie war inzwischen eine richtig knuffige kleine Zicke, die jede Nacht bei uns im Bett schlief und das ganze Rudel im Griff hatte. Es durfte einfach nicht sein. Aber da war das sehr tiefe Schlafen, die wenige Ausdauer beim Spaziergang – ich kannte die Zeichen und wollte sie doch nicht sehen. 

Vor der OP ließen wir ein Screenings machen, Amilas Brustkorb wurde geröntgt. Die Ärztin kam wieder rein, wollte noch ein zweites Bild machen. Ich sah es schon in ihrem Blick – das zweite Bild bestätigte ihre erste Diagnose. Amila hatte bereits einige große Metastasen im Brustkorb, der Husten kam leider nicht von einem vergrößerten Herz… Eine OP nicht mehr sinnvoll und eine zusätzliche Belastung. Ich war darauf gefasst und fragte nach, wieviel Zeit ihr noch bleibt. Ein Kopfschütteln, wir können versuchen mit einem Ergänzungsfuttermittel das Zellwachstum zu verlangsamen und die Entzündungen einzudämmen. Ich gebe Ihnen mal eine hunderter Packung mit, habe leider keine kleinere Packungsgröße hier, sie können die restlichen Tabletten dann zurückgeben. Wir könnten auch noch Kortison versuchen, wenn es schlimmer wird. Hundert Tage – nichtmal, gab sie ihr. Aber dann kam noch der Satz: vielleicht bei guter Pflege und Fürsorge, so wie sie sie jetzt bekommt, das kann viel ausmachen. Melden Sie sich, wenn sie merken, dass sie Luftnot bekommt. Sie können Tag und Nacht anrufen! Aus der Pflegestelle wurde nun unvorhergesehen ein Gnadenplatz. 

Als Pflegestelle läuft man immer Gefahr…

Das war im Dezember 2016. Amila bekam jeden Tag eine Tablette versteckt in etwas Leberwurst, die sie begierig verschlang. Der Husten wurde ein bisschen besser, sie wurde etwas aktiver. Das Mittel half ihr eindeutig. Hin und wieder bekam sie leichte Anflüge von albern sein und freute sich so unglaublich süß, wenn ich ihr Geschirr in die Hand nahm. Sie wurde zu meinem Schatten, wie ein kleiner Satellit umkreiste sie mich den ganzen Tag. Nie zu nah, aber doch immer in meiner Nähe. Verließ ich den Raum, verließ sie ihn und folgte mir, ging ich unter die Dusche, schlief sie davor, setzte ich mich aufs Sofa, war sie immer in der Nähe und sie verpasste nie, wenn ich meinen Standort wechselte… Ihre Art zu kommunizieren, war und ist einzigartig – sie spricht mit ihren Augen, so wie ich es noch nicht erlebt habe. Sie sagt mir immer, was sie gerade möchte – suchte immer den Blickkontakt und sie ist so unglaublich prinzipientreu. All ihre Handlungen machen Sinn – ich hatte diesen kleinen zahnlos schmatzenden Hund mit der heraushängenden Zunge absolut unterschätzt in seinen geistigen Fähigkeiten. Sie lehrte uns Respekt vor kleinen Hunden. 

Im März wurde der Husten langsam wieder mehr und quälender, immer häufiger verweigerte Amila Futter. Ich kochte für sie. Diese selbstgekochten Eintöpfe, sie liebte sie und prinzipientreu, wie sie ist, pusselte sie genau aus, was sie essen wollte und was nicht. Es wurde fein säuberlich um den Napf herum verteilt. Unser verfressener Rüde fand das prima! Die beiden wurden langsam Freunde. 🙂  Dann half auch der Eintopf nicht mehr und die Leberwurst mit der Tablette auch nicht… Der Appetit wurde immer weniger, Amila schlief stundenlang unendlich tief, sie konnte nur noch sehr kurze Strecken spazieren gehen… Wir nahmen sie nun in einem kleinen Hundebollerwagen auf die Spaziergänge mit dem Rudel mit, damit sie nicht sooft allein zuhause bleiben musste. Unsere sanftmütige, aber kräftige rumänische Pflegehündin war indes in ihr neues Zuhause gezogen, sodass ich etwas mehr Luft im Alltag hatte. Der Urlaub nahte. Sollten wir es ihr noch antun, diesen Stress? Was, wenn sie im Urlaub verstirbt? Einschläfern, weil der Urlaub naht? Die Gedanken kreisten – als Pflegestelle muss man auch das eigene Leben im Blick haben. Der Urlaub war nötig. Aber ohne Amila? Wir hatten sie in Gedanken doch schon an der Ostsee sitzen sehen…. Das Kortison, es fiel mir wieder ein… 

Es schlug sofort an! Der Appetit kam schlagartig zurück, sie konnte wieder längere Strecken laufen und war so viel wacher! Amila fuhr mit an die Ostsee, ihr Cabrio im Gepäck! 

 

Nun sind wieder sechs Wochen um – der quälende Husten kommt zurück, besonders vormittags. aber sie ist agil, sofern es nicht zu heiß ist. Heute hat sie sogar Fliegen in der Küche gejagt und das erste Mal überhaupt auf mein Pfeifen gehört, als sie im Garten am Zaun bellte – fröhlich galoppierend kam sie über den Rasen zu mir geflitzt. Das ist noch nie passiert. Die Ohren sind eigentlich nicht mehr die Besten. Und gestern saß sie wieder so stolz in ihrem Cabrio und schaute in die Welt. Sie sagt Bescheid, wenn sie raus möchte und Abends, wenn wir schlafen gegangen sind, erwische ich sie immer wieder dabei, wie sie kurz hochguckt, ob ich noch da bin. Oft kommt sie auch noch angekuschelt um sich in den Schlaf kraulen zu lassen. Und morgens wird sie von mir ebenso wieder ins Leben gekrault. Wer davon mehr hat? Keine Ahnung, wir genießen die gemeinsame Zeit einfach. Sie hat zweibeinige Fahrstühle für das Sofa, Auto, Bett oder die geliebte Lounge im Garten, von wo aus sie einen super Überblick hat. 

Amy würde mich und das Rudel gegen jedes Ungeheuer verteidigen, denn sie hat das Herz eines Löwen! Sie lehrt uns den Respekt vor sogenannten Schoßhunden – jeden Tag. Oft schläft sie inzwischen mit unserem rumänischen Rüden gemeinsam auf einer Decke, oder draußen in der Sonne – die beiden machen gerne eine gemeinsame kleinere Runde durchs Dorf. Sie ist einfach toll! Eine gelungene Mischung aus Hund-Teddy-Baby-Drachen-Diva und Kröte 🙂  Liebe? Liebe ist nicht professionell – scheiß drauf, dann sind wir eben nicht professionell! 

Kleine Amy, wir hoffen, dass es noch ein paar Wochen geht, dass wir den richtigen Zeitpunkt finden. Aber ich bin mir sicher: du wirst uns mit deinen Augen sagen, wann es okay ist für dich, so wie du uns alles sagst. Und wir werden bei dir sein, bis zum letzten Atemzug, versprochen. 

Deine dich liebenden Pflegestellenmenschen